Interview zwischen Mag.ª Brigitte Rinner (Pastoralpraktikantin in St. Stefan ob Stainz / St. Josef in der Weststeiermark) und Senior Pfr. Prof. Mag. Andreas Gerhold(Pfarrer an der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Stainz-Deutschlandsberg) zu: Unitatis redintegratio:

1) Bevor es beim II Vatikanischen Konzil zu dieser Erklärung gekommen ist, hat es bereits viele Bemühungen um die Ökumene gegeben. Könntest du mit einigen Worten erläutern welche Schritte auf evangelischer Seite gemacht wurden?

Die Ausdrucksweise „von evangelischer Seite“ trifft es ausgezeichnet. Denn es gibt nicht nur die eine Kirche der Reformation, sondern die reformatorischen Kirchen bestehen weltweit aus den Kirchen der jeweiligen Länder, in denen sie sich auf ihre Art darum bemühen, möglichst offen und gleichzeitig eng an die biblische Botschaft gebunden, den Glauben zu leben und ihrer Erkenntnis nach zu gestalten.

Dazu gehört auch, dass sich die reformatorischen (evangelischen) Kirchen von Anfang an der ökumenischen Bewegung verbunden wissen.

Auf den österreichischen Kontext bezogen, gehören die Evangelischen Kirchen des Augsburgischen und des Helvetischen Bekenntnisses zu den Gründungskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, sowie des heutigen Ökumenischen Forums christlicher Kirchen in der Steiermark. Ziel dieses Engagements ist es, Verständnis füreinander und für die je eigene Glaubenstradition zu fördern und in ein gemeinsames Engagement einfließen zu lassen. Und das in absoluter Gleichwertigkeit. Beispiel für ein solches Engagement: Stellungnahmen zur Asylpolitik, zur sozialen Verantwortung oder auch im Rahmen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Ökumenische „Großevents“, wie die 2. Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zum Thema: Versöhnung – Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens, haben viel zum positiven ökumenischen Klima in der Steiermark beigetragen. Ich selbst bin seit 1992 im ökumenischen Dialog der Steiermark engagiert und habe viele Initiativen mit begleiten dürfen.

 2) Das Bild das die Erklärung von Kirche zeichnet wird auf das Gebet Jesu in Johannes 17,21 zurückgeführt, was kannst du mir dazu sagen?

 Damit sie alle eins seien: Das ist dieser berühmte Satz aus dem hohenpriesterlichen Gebet, das uns der Evangelist Johannes von Jesus überliefert. Zunächst bezieht Jesus die in sein Gebet mit ein, die ihm in der einen oder anderen Art nachgefolgt sind: Jüngerinnen und Jünger, Menschen, die sich solidarisch gezeigt und die Jesusgruppe unterstützt haben, materiell, finanziell. Martha, Maria und Lazarus sind bekannt für diese Personengruppe. Erst in zweiter Linie zieht Jesus in seinem Gebet den Kreis größer: nämlich zu denen, die in späterer Zeit seine Botschaft annehmen werden.

In diesen nachfolgenden Kreis dürfen auch wir uns als christliche Kirchen mit hineingenommen wissen. Die Frage ist, wie wir mit diesem Anspruch umgehen. Kontroverse Formen waren z.B. die Reformation oder die Tridentinischen Reformkonzilien. Das Dokument des II. Vatikanischen Konzils über die Ökumene Unitatis redintegratio ist eine dialogische Form dieses Bemühens, in der Nachfolge Jesu zu bleiben. Ebenso das Schreiben von Papst Johannes Paul II: Ut unum sint, die lateinische Übersetzung des Satzes aus dem Gebet Jesu. Dialogisch natürlich auch die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999, oder das Dokument des Weltkirchenrates zu Taufe, Eucharistie und Amt. Du siehst, es ist ein Auf und Ab, wobei sich der Schwerpunkt eindeutig in Richtung Auf bewegt. Selbst in den großen Runden der ökumenischen Initiativen. Ich selbst bin ja der Auffassung, dass die Ökumene, die vor Ort gelebt wird, der Ausgangspunkt aller ökumenischer Bemühungen ist. Also wie im Johannesevangelium: zuerst auf den kleinen Kreis bezogen, die größeren Kreise werden folgen, behäbiger, aber im gleichen Fahrtwasser.

 3) Bei einer Reise nach Israel, an die zentralen Verehrungsorte Jesu(Geburtskirche und Grabeskirche) hatte ich persönlich den Eindruck dass es derzeit garnicht gelingt nach aussen hin eine Gemeinschaft darzustellen. Kennst du ähnliche Beispiele?

 Ich nehme an, du beziehst dich auf die Streitereien zwischen den Personen verschiedener Kirchen, die in den genannten kirchlichen Orten bestimmte Aufgaben übernommen haben. Ich selbst habe davon nur über die Medien erfahren, dass sie sogar versucht haben sollen, sich mit Reinigungsbesen aus den Kirchen zu verjagen. Das aber kann kein Vorbild für die Herstellung der Einheit der ChristenInnen sein.

Angehörende der unterschiedlichen Kirchen müssen sich mehr als untereinander vertragen. Um darin auch Vorbild zu sein, kann es nur um das „geschwisterliche“ (die Dokumente schreiben noch vom „brüderlichen“) Miteinander gehen. Wie wir es ja auch zwischen unseren Pfarrgemeinden pflegen. Natürlich hängt es auch vom persönlichen Umgang ab, wie dieses Miteinander ausschaut. Das kann von korrekt bis zum freundschaftlichen Umgang reichen. Ich bin froh, dass wir bei uns den freundschaftlichen Ton anschlagen, der vielen Menschen unserer Pfarrgemeinden auch Mut macht, sich zu öffnen für den Charakter auch der jeweils anderen Kirche.

 4) Was sind derzeit die grössten theologischen Unterschiede die uns trennen, was die grössten Gemeinsamkeiten?

Diese beiden Pole kann ich nur miteinander sehen. Das eine ergibt sich aus dem anderen. Das Papstamt, als ein Beispiel. Wie sehr freue ich mich über den neuen Ton von Papst Franziskus, der aus dem Vatikan in die Welt dringt, auch in Räume der Evangelischen Kirchen. Und doch ist der Primat des Papstes, als Amtsfunktion gesehen, eine der größten Differenzen.

Auch denke ich, um ein weiteres Beispiel zu geben, an die Person der Gottesmutter Maria. Niemand, auch in der Evangelischen Kirche nicht, würde bestreiten, dass ihr schon in den Überlieferungen der Evangelien eine besondere Stellung eingeräumt worden ist. Aber ihre Rolle als Fürsprecherin bei Gott hat für die Evangelischen Kirchen keine Relevanz, weil es dafür auch keine biblische Begründung gibt. Jeder Mensch kann „in sein stilles Kämmerlein gehen“ (so Martin Luther) und Gott sein Anliegen im Gebet vorbringen. Allein der Geist hilft darin unserer Schwachheit auf, so schreibt es der Apostel Paulus im Römerbrief.

Das Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio bildet da eine ganz eigene Kategorie. Denn in aller positiver Zustimmung zu so manchen Aussagen über die nicht römisch-katholischen Kirchen, wie ihre Aufgaben in der Bewahrung wichtiger christlicher Traditionen und Erkenntnisse, so ist doch die eine geäußerte Bedingung für die Wiederherstellung der Einheit der Kirchen, nämlich die Integration dieser nicht römischer Kirchen zurück in die römisch-katholische Kirche, eine, die nicht akzeptabel ist. Diese Reintegration ist ja nach wie vor Ziel in allen öffentlichen vatikanischen Schreiben und Dokumenten.

Aber mein eigenes, ganz persönliches ökumenisches Anliegen ist es, viel voneinander zu lernen. Und sich auch, um ein ganz wichtiges Beispiel zu bringen, einzufinden in den Gottesdienst der anderen Kirche. Denn jeder Gottesdienst, aus welchem Anlass immer, ist Ausdruck des Glaubens, öffentliches Bekenntnis zu dem dreieinen Gott. Es ist für mich überhaupt kein Problem, auch im eucharistischen Hochgebet die Gemeinschaft mit der Gottesmutter Maria zu bekennen. Ist sie denn nicht ein Glaubensvorbild für alle christlichen Generationen bis heute ?

Bisherige Grenzen, auch wenn sie so unverrückbar erscheinen, in manchem überschreiten, das sehe ich auch als eine ökumenische Aufgabe im kleinen von mir. Weil ich meine, dass das wandernde Gottesvolk in allen Kirchen der Ökumene offener in seiner Haltung ist als es so manche Dokumente ökumenischer Großveranstaltungen beschreiben.

5) Sehr schön an der Erklärung finde ich das sie nicht von irgendeiner Schuld der derzeit lebenden Gläubigen an der Trennungen in der Vergangenheit spricht. Es gibt sehr viele positive Bespiele von Projekten und Bemühungen um die Ökumene. Besonders hervorheben möchte ich dabei die ökumenische Gemeinschaft in Taize, die vorallem sehr viele junge Menschen anzieht. Welche Schritte setzten wir hier bei uns vor Ort um die Ökumene Wirklichkeit werden zu lassen?

Frére Roger Schutz hat mit der Gründung seiner Gemeinschaft (Communauté de Taizé) Ende der 1940er Jahre einen ökumenischen Grundstein gelegt. Zunächst als evangelische Gemeinschaft angelegt, haben sich die Brüder (es ist eine Männergemeinschaft) dem ökumenischen Grundgedanken geöffnet und dazu beigetragen, dass Taizé ein Zentrum spiritueller Gesinnung geworden ist, jenseits aller konfessioneller Beschränkungen. Noch heute sehe ich das denkwürdige Bild vor mir, als der damalige Kardinal Josef Ratzinger beim Trauergottesdienst für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. dem schon im Rollstuhl sitzenden Frére Roger die Kommunion gereicht hat. Ein Bild, das für einen Moment die mögliche Weite ökumenischer Gemeinschaft aufblitzen ließ.

In unserer kleinen ökumenischen Welt in St. Stefan / St. Josef setzen wir solche Zeichen auch: der KOKURU, ausgeschrieben: der „kooperative konfessionsübergreifende Religionsunterricht“ an der NMS St. Stefan, die ökumenischen Gottesdienste zu besonderen Ereignissen wie der „Langen Nacht der Kirchen“, aber auch gemeinsame Begräbnisgottesdienste, Trauungen, Jubiläumstrauungen und anderes mehr. Auch durfte ich schon in der r.k. Pfarrkirche St. Stefan evangelische Taufen vornehmen. All das zeigt mir: wo die Ökumene im Alltag der Menschen angekommen ist, wachsen die Kirchen aufeinander zu, ohne ihre Einzigartigkeiten zu verlieren (eben nicht nur Eigenarten!)

Das Um und Auf aber ist das gegenseitige Vertrauen darauf, diese Einzigartigkeiten zu respektieren und sie als Bereicherung auch des je eigenen kirchlichen Lebens zu verstehen.

Mein Schlussresumée: Die Ökumene ist angekommen !

 

Zusammengestellt und redegiert von Frau Maga. Brigitte Rinner