Predigt im Gottesdienst anlässlich der Ordination ins Ehrenamt am 25. Mai 2014 in der Friedenskirche in Stainz, Mag.a Sabine Maurer

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Wir hören die Lesung aus dem Johannesevangelium, die Grundlage der Predigt ist. Dort heißt es im 4. Kapitel, in den Versen 28-30.39.41-42.:

28 Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen und ging weg in das Dorf und sagte zu den Leuten:

29 Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob dieser nicht der Messias ist?

30 Sie gingen aus dem Dorf hinaus und kamen zu ihm.

39 Viele aus dem samaritanischen Dorf glaubten an ihn wegen des Wortes der Frau, die bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.

41 Und noch viel mehr glaubten an ihn wegen seines Wortes.

42 Der Frau sagten sie: Wir glauben nicht mehr nur wegen deiner Rede, denn ihn selbst haben wir gehört und wir wissen: Dieser ist wirklich der Erlöser der Welt.

Der Herr gebe uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.

 

Liebe Festtagsgemeinde!

Es ist wahr, dass alle Christen Priester sind, aber nicht alle sind Pfarrer.

Und ich füge dem Satz von Martin Luther hinzu: Es ist wahr, dass alle Christen Priesterinnen sind, aber nicht alle sind Pfarrerinnen.

Dieser Satz verwirrt zunächst. Und wenn wir an das Christentum denken, dann zeigt sich eine anderes Bild: So sind beispielsweise in der römisch-katholischen Schwesterkirche nicht alle Priester, und schon gar nicht Priesterinnen. Und in den evangelischen Kirchen gibt es weder Priester noch Priesterinnen. Der 2. Teil des Satzes stimmt dann schon eher: Nicht alle sind Pfarrer oder Pfarrerin. Allerdings gibt es Pfarrerinnen in der evangelischen Kirche noch nicht seit allzu langer Zeit.

1919 stellte der damalige Pfarrer unserer Gemeinde in Stainz einen Antrag im Presbyterium: Man möge der evangelischen Theologin Olga Lau-Tugemann das Abhalten von Gottesdiensten übertragen. Doch zu dieser Zeit durften Frauen in Österreich noch nicht einmal evangelische Theologie studieren, das wurde ihnen erst 1928 erlaubt und es dauerte noch sehr lange, bis Frauen mit den gleichen Rechten und Pflichten in den Dienst als Pfarrerinnen in die Evangelische Kirche aufgenommen wurden. Erst 1980 war es so weit. Und so lehnte das Presbyterium damals den Antrag des Pfarrers ab, Frau Lau-Tugemann Gottesdienste halten zu lassen, sicher auch deswegen, weil es dafür keinerlei kirchenrechtliche Grundlage gab.

Doch theoretisch hätte vor 95 Jahren hier auf dieser Kanzel schon eine Frau stehen können.

Mit Luther könnte man für die Zeit vor dem 2. Weltkrieg, zumindest was Österreich betrifft, sagen: Nicht alle Christen sind Pfarrer, und keine einzige Christin Pfarrerin.

Aber vergessen wir nicht den ersten und wichtigeren Teil unseres Satzes: Alle Christen sind Priester und Priesterinnen.

Was ist überhaupt ein Priester?

In der Regel meint man damit eine Amtsperson, die in ihrer Eigenschaft als Vorsteher kultischer Handlungen eine Mittlerrolle zwischen jeweiliger Gottheit und den Menschen einnimmt. Bezogen auf das Christentum bestreitet Martin Luther die Notwendigkeit eines Priesters als Mittler und bezieht sich dabei auf das Neue Testament: Christus allein ist der Mittler und durch die Taufe sind alle zu Priestern und Priesterinnen geweiht. Alle Getauften haben Anteil am Priestertum Christi. D.h. sie bringen ihre Anliegen im Gebet vor Gott und umgekehrt die Anliegen Gottes zu den Menschen, indem sie das Evangelium weitergeben. Luther bezeichnet dieses Verhältnis der Glaubenden zu Christus daher auch als einen „fröhlichen Wechsel“ zwischen ihnen beiden.

Was sich für uns vielleicht sehr theoretisch und abgehoben anhört, hat doch auch heute noch eine Bedeutung. Denn es geht es um nichts weniger als um die Frage: Wie wollen wir unser Christsein verstehen und leben? Was bedeutet es, dass wir Getaufte sind? Und was folgt daraus für die Rolle eines Pfarrers, einer Pfarrerin in ihrem Verhältnis zur Gemeinde? Oder anders gefragt: Wenn nach evangelischem Verständnis alle Christen Priester und Priesterinnen sind, wozu braucht es dann einen Pfarrer oder gar eine Pfarrerin im Ehrenamt?

Machen wir einen Gedankensprung und kommen zu unserer biblischen Erzählung, aus der wir zu Beginn einige Verse gehört haben. Im Mittelpunkt steht eine Frau, eine Samaritanerin, deren Name uns nicht überliefert ist. Samaritaner bewohnen das Gebiet Samaria im damaligen Palästina in der römischen Provinz Syria. Sie sind eine Gruppe innerhalb des Judentums, werden aber von ihresgleichen als nicht zugehörig abgelehnt. Ein Grund dafür ist, dass sie sich mit Nicht-Juden, den assyrischen Eroberern, vermischt haben. Zudem haben sie ihr religiöses Zentrum nicht im Jerusalemer Tempel, sondern auf dem Berg Garizim in Samaria.

Sehen wir uns einmal das Bild an, das in Ihrem Gottesdienstblatt auf Seite 3 abgebildet ist:

TitelbildHier sehen Sie die Samaritanerin und die Samaritaner auf der rechten Seite des Bildes. Sie werden mit gestreifter Kopfbedeckung dargestellt und unterscheiden sich dadurch deutlich von Jesus und seinen Jüngern, den Juden, auf der linken Seite des Bildes.

Die Samaritanerin spricht am Brunnen mit Jesus auf Augenhöhe. Diese Szene steht im Zentrum. Zwischen den beiden befindet sich der Jakobsbrunnen, hinter dem ein Baum mit drei Zweigen hervorwächst. Auf der rechten Seite wendet sich die Samaritanerin den Dorfbewohnern zu. Ihre Handbewegung verdeutlicht, dass sie ihnen eine Botschaft überbringt. Offensichtlich hat sie durch das Gespräch mit Jesus etwas erkannt, das sie nun an andere weitergibt.

Worum ging es in dem Gespräch am Brunnen? Zunächst um den bisherigen Lebensweg dieser Frau. Fünf Männer hat sie gehabt und der Mann, mit dem sie jetzt zusammenlebt, ist nicht ihr Mann.

In den Auslegungen dieser Geschichte wird das oft als ein moralisches Versagen der Frau aufgefasst. Dabei wird die soziale Wirklichkeit übersehen, der Frauen in dieser Zeit ausgeliefert waren. So wie auch unser Leben durch äußere Umstände geprägt wird, die wir uns nicht auswählen können: Unsere Eltern, die sozialen Verhältnisse, in die wir geboren werden, die politischen Tatsachen, die unser Leben bestimmen, Vorgesetzte, Kollegen und Kolleginnen, die auf unser Leben Einfluss nehmen.

Anders als heute hatte eine Frau der damaligen Zeit keine andere Möglichkeit als durch Eheschließung das Leben zu bestehen. Starb der Mann oder ließ er die Ehe scheiden, dann musste sie einen anderen Mann heiraten, um nicht dem sozialen Tod ausgeliefert zu sein. Das führte oft dazu, dass Frauen sog. Kettenehen eingehen mussten. Das Schicksal dieser Frau ist also kein selbstgewähltes, sondern durch die gesellschaftlichen Verhältnisse fremdbestimmtes. Jesus aber rügt sie nicht für ihr bisheriges Leben, sondern er erkennt an, dass sie sich ihm zeigt, wie sie ist, wer sie ist und was ihr Leben ausmacht. „Du hast die Wahrheit gesagt“, antwortet ihr Jesus. Kein Vorwurf, keine Beschönigung, einfach nur: Ja, so ist es. Du stehst zu dem, was war und ist. Das findet meine Anerkennung.

Welch eine Befreiung, einmal nichts vortäuschen, nichts zurückhalten zu müssen von den Seiten des Lebens, die zu zeigen mit Scham verbunden sind! Zur Wahrheit des eigenen Lebens stehen, ohne andere für die Enttäuschungen unseres Lebens verantwortlich machen zu müssen. Es so zu akzeptieren, wie es eben war und dadurch jetzt ist: Wie bedeutend oder unbedeutend, wie erfolgreich oder erfolglos, wie gelungen oder wenig gelungen im Ganzen oder in einzelnen Bereichen auch immer es uns selbst erscheint.

Aber so einfach ist das ja nicht. Es braucht viel Vertrauen. Die Frau erkennt im Angesicht Jesu die Wahrheit ihres Lebens und steht dazu. Das ist auch das Erste, was sie den Menschen im Dorf mitteilt: Kommt, seht den Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe.

Seht den Menschen! Am Brunnen begegnet die Samaritanerin Jesus, einem Menschen, der sie sieht, ihr An-sehen gibt und so kann sie sich auch selbst ansehen. Der Brunnen, nicht nur Ort der Begegnung, sondern auch der Selbsterkenntnis. Wer in den Brunnen schaut, sieht in der Wasseroberfläche sich selbst. Das ist wohl der Grund dafür, dass im Hebräischen das Wort für Quelle und für Auge dasselbe ist: ajin. Sich selbst in die Augen schauen zu können. Dazu braucht es Mut. Die Samaritanerin findet diesen Mut durch ihre Begegnung mit diesem Menschen, mit Jesus.

Aber es bleibt nicht bei dieser Selbsterkenntnis allein: Auch Jesus gibt sich zu erkennen, zeigt sich der Frau als der, der er ist. Als die Samaritanerin vom Messias spricht, den sie wie die Juden auch, erwartet, sagt Jesus zu ihr: „Ich bin es, ich, der mit dir spricht.“ Da ließ die Frau ihren Wasserkrug stehen und ging in die Stadt und sagte zu den Leuten: Kommt und seht den Menschen. Ist dieser nicht etwa der Messias?

Beide Erfahrungen, die befreiende Selbsterkenntnis und die Überzeugung, dem Messias, begegnet zu sein, treiben die Frau hinaus zu den Leuten. Im biblischen Text heißt es: „Viele aus dem samaritanischen Dorf glaubten an ihn wegen des Wortes der Frau“ (V. 39). Sie glauben ihr und glauben deswegen, dass dieser Mensch am Brunnen der Messias ist. Eine wichtige Unterscheidung: Jemandem glauben und an jemanden glauben. Die Samaritaner können an Jesus als den Messias glauben, weil sie zuerst der Frau geglaubt und vertraut haben.

Kommen wir auf unsere Frage zurück: Wozu braucht man Pfarrer und Pfarrerinnen? Ich denke, dass sich in der Erzählung von Jesus und der Samaritanerin am Brunnen insgesamt drei Antworten darauf finden lassen:

Erstens: Der Weg zum Glauben geht über eine Person, der man glauben kann, der man vertraut. Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, dann war das genau so: Diakonissen, also Frauen einer evangelischen Schwesterngemeinschaft, waren die ersten, die mich im Kindergottesdienst mit biblischen Erzählungen bekannt machten. So wie sie die Geschichten aus der Bibel erzählten, berührte es mich als kleines Mädchen. Und so ging ich gerne jeden Sonntag in die Stadtkirche in Bad Hersfeld, wo ich aufgewachsen bin. Später war es dann Dekan Horst Dickel, der mir vermitteln konnte, wie Glaube und Erwachsensein, Glaube und Vernunft zusammengehen. Hier in Deutschlandsberg war es dann Frau Dr. Ruth Moser – manche von Ihnen kannten sie noch – ohne sie hätte ich den Weg in diese Gemeinde wohl kaum so gefunden. Und so könnte ich noch weitere Personen nennen, die alle dazu beitrugen, dass mein Glaube immer wieder neu geweckt, gestärkt und sich weiter entwickelt hat.

Diese Personen waren nicht alle Pfarrer oder Pfarrerinnen, sondern Menschen, die aus ihrem Glauben lebten und dadurch auf mich und andere eine Wirkung hatten. Alle waren also im Sinne Luthers Priester und Priesterinnen.

Alle Christen sind Priester, und auch alle Pfarrer und Pfarrerinnen sind Priester und Priesterinnen, und zwar aus dem einzigen Grund, weil sie auf Christus Getaufte sind. Durch ihren Beruf stehen sie zwar mehr in der Öffentlichkeit und ihre Glaubwürdigkeit stärker auf dem Prüfstand. Aber für uns alle gilt: Das, was wir sagen, wird nie unabhängig von unserer Person gehört. Das ist auf der einen Seite eine große Chance, auf der anderen Seite aber auch eine große Herausforderung. Es zeigt, wie sehr die Glaubwürdigkeit der Botschaft von der Glaubwürdigkeit der Person abhängt. Ich nehme das als Mahnung mit: Wir tragen den Schatz des Evangeliums in irdenen Gefäßen!

Zweitens: Die Samaritanerin bezieht die Menschen, denen sie die Botschaft sagt, in ihre Betroffenheit und ihr Nachdenken mit ein: Kommt und seht den Menschen, ob dieser nicht der Messias ist? Die Frau ruft die Einwohner Samarias dazu auf, der Frage selbst nachzugehen: Kommt und seht selbst: Ist er nicht etwa der Messias? Das ist doch etwas ganz anderes, als wenn sie behauptet hätte: Kommt und seht den Menschen. Er ist der Messias! – So möchte ich meinen Auftrag als Pfarrerin sehen: Kommt, seht, ob dieser Jesus, von dem die Bibel erzählt, der Messias ist. Ich möchte dazu anregen und beitragen, dass wir uns mit den biblischen Texten auseinandersetzen und Fragen stellen, ihnen nachgehen und uns nicht mit vorschnellen Antworten zufrieden geben. Denn Priestersein im Sinne Luthers bedeutet, dem Inhalt des Glaubens nach-zudenken und ihn selbstständig vor Gott verantworten zu können.

Und eine dritte Beobachtung aus der Erzählung: Die Einwohner von Samaria sagen zur Frau: „Wir glauben nicht mehr nur wegen deiner Rede, denn ihn selbst haben wir gehört und wir wissen: Dieser ist wirklich der Erlöser der Welt. Durch dich waren wir motiviert, mit Jesus selbst zu sprechen und ihm zuzuhören. Jetzt haben wir selbst erkannt, worauf du uns hingewiesen und worauf du uns neugierig gemacht hast. – Die Samaritanerin kann das als Bestätigung dafür sehen, dass ihre Art und Weise, den Menschen die Botschaft zu überbringen, voll aufgegangen ist.

Wir sind heute angewiesen auf das Wort, wie es uns in der Bibel überliefert ist. Und so sehe ich es als meine Aufgabe, die Neugier und das Interesse am Wort Gottes zu wecken, damit es uns allen zum Wort des Lebens wird.

Davon spricht auch der Psalm, den wir zu Beginn des Gottesdienstes gemeinsam gebetet haben. Nicht nur hier werden das Wort Gottes, die Weisung des Herrn, mit dem Wasser, dem Symbol des Lebens, in Verbindung gebracht: So heißt es im ersten Psalm: „Wohl denen, die ihre Lust haben an der Weisung des HERRN und sinnen über seiner Weisung Tag und Nacht. Die sind wie ein Baum, an Wasserbächen gepflanzt: Sie bringen ihre Frucht zu ihrer Zeit, und ihre Blätter welken nicht. Alles, was sie tun, gerät ihnen wohl.“

Das zeigt auch unser Bild. Schauen wir es zum Schluss noch einmal an: Ein Brunnen mit vier Ausbuchtungen, aus dem ein Baum mit drei Zweigen hervorwächst. Die Zahl vier steht hier für die Welt, und die Zahl drei für das Göttliche. So haben die damaligen Künstler zum Ausdruck gebracht, dass der Brunnen mit seinem Wasser für das Wort, die Weisung Gottes steht, das zwar von Menschenhand aufgeschrieben wurde, aus dem aber göttliches Leben hervorwächst. Der Brunnen mit seinem Wasser als Symbol für das Wort Gottes. Kann man sich ein schöneres Symbol dafür vorstellen?

Und so möge es auch für uns sein: Trinken wir von diesem lebendigen Wasser des Wortes, wie es uns in der Bibel überliefert ist, seien wir nun Priester oder Priesterinnen und Pfarrer oder Pfarrerinnen oder beides!

Jesus, der Christus, gibt uns sein Wort. Wir können ihm vertrauen, wenn er sagt:

Alle, die von dem Wasser trinken, das ich ihnen gebe,
werden bis in Ewigkeit nicht mehr durstig sein,

ja das Wasser, das ich ihnen geben werde,

wird sogar in ihnen zu einer Quelle sprudelnden Wassers für das ewige Leben werden. Amen.